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Andrij Schkrabjuk

Der Metropolit

Am 17. Januar 1901, dem Vorabend des Taufe Christi- Festes, zu Beginn des neuen Jahres und des neuen Jahrhunderts, fand in der St.-Georgs-Kathedrale in Lviv die feierliche Inthronisierung des Metropoliten von Halytsch, Erzbischof von Lviv und Bischof von Kamjanez-Podilskyj statt. Es war der 35-jährige Roman Alexander Maria Graf Scheptyzkyj, der als Mönch den Namen Andrej angenommen hatte. Noch im Oktober 1900 wurde er zum Metropoliten von Halytsch nominiert. Die Kirche und die Glaubensgemeinde hat ihn aber erst heute, am 17. Januar, zum Bischof und Hirten ernannt. Für Scheptyzkyj selbst war dieser Tag von besonderer Bedeutung.

Mit der Metropolie von Halytsch meinte man zu diesem Zeitpunkt die Griechisch-Katholische (Uniierte) Kirche schlechthin die St.-Georgs-Kathedrale war ja bekanntlich ein kleiner galizischer Vatikan.

Die majestätische und ruhmreiche Geschichte von Halytsch, das dem historischen Lande und der Metropolie ihren Namen gegeben hat, war beinahe in Vergessenheit geraten, und die Stadt selbst unterschied sich kaum von den anderen Städten des Kronlandes. Kamjanez-Podilskyj war zu jener Zeit längst unter russischer, wohl kaum einer seiner Bewohner gehörte damals der Uniierten Kirche an. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die orthodoxen Priester und Gläubigen von Kamjanez ihn, den Metropoliten Scheptyzkyj, um finanzielle und materielle Hilfe (Bücher, Kirchengewand, Kirchenutensilien) gebeten. Sie begründeten dies damit, dass er doch Bischof in ihrer Stadt sei, und der Metropolit hat diese Unterstützung nicht abgelehnt.

Wir schreiben also das Jahr 1901. Die nächsten 44 Jahre wird der Metropolit das Oberhaupt der Uniierten Kirche sein und sie durch alle Stürme und Erschütterungen der ersten Jahrhunderthälfte führen. Galizien wird in diesem Zeitraum fünfmal seine Staatsfarben wechseln, es wird von fremden Heeren besetzt, - es ist dem Untergang nahe, genau wie die Uniierte Kirche. Am 17. Januar 1901 anht man noch nichts davon. Dieser Tag gehört noch ganz zum XIX. Jahrhundert, zum jungen Metropoliten und zum scheinbar unsterblichen Kaiser von Österreich. Das XIX. Jahrhundert wird in Galizien später sein Ende nehmen - am 3. September 1914 um 11 Uhr 45, als Lviv von den russischen Truppen besetzt wird.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts - um hier eine Paralelle zur PAX ROMANA unter Oktavianus Augustus zu ziehen - leben europäische Staaten - zersplitterte und uniierte - in Frieden miteinander, Kriege werden nur irgendwo am Rande der christlichen Welt geführt - etwa im Süden Afrikas, auf Kuba oder den Philippinen. Im Zentrum Europas herrscht "österreichischer Frieden" - trotz aller Balkan - Konflikte erreichen die Postkarten aus Sarajewo Lemberg binnen zweier Tage.

Der achte galizische Metropolit nach der Wiederherstellung der Metropolie 1808 erstaunte zunächst das galizische Volk. Die Galizier, gewöhnt an die kirchliche Gerontokratie, sind von seiner Jugend und seinem majestätischen Auftreten beeindruckt. Beeindruckend war auch sein blitzartiger Aufstieg : 1892 - Priester und Basilianer-Mönch, 1896 - Abt des Onufrij-Klosters in Lviv, 1899 - Bischof von Stanislaw, und nun Metropolit von Halytsch. Wer war dieser Mann ? Das trojanische Pferd, Zerstörer von kirchlichen und volkstümlichen Traditionen, "Conrad Wallenrod" wie ihn Kyrylo Trylowskyj 1908 nannte, oder ein eigenartiger Deus ex machina, Erlöser, "Apostel der Wahrheit und der Weisheit" (Schewtschenko)?

"Schon meinen Urgrossväter waren Ruthenen, und ich liebe unsere Kirche und unseren heiligen Ritus von ganzem Herzen", schrieb er in seinem ersten Hirtenbrief, als er zum Bischof von Stanislaw ernannt wurde.

Zu Beginn, unter dem Einfluss der Familientradition, fühlte und bezeichnete er sich lieber als Ruthene, denn als Ukrainer. Gewiss, während der österreichisch-ungarischen Monarchie waren die Bezeichnungen "Ruthene", "ruthenisch" mit jenen von "Ukrainer" oder "ukrainisch" identisch. Das Ruthenentum des Metropoliten Scheptyzkyj bedeutete keineswegs einen Hang zum Moskwophilen, wonach es "ein einheitliches untrennbares "ruthenisches" Volk gäbe, von Przemysl bis Wladiwostok, vom Land der Lemken bis zum Eisozean .

Für den Metropoliten gab es vielmehr den Begriff der "ruthenischen Welt", die von drei grossen ostslavischen Völkern bewohnt wird, und die man zur Kirchenunion mit Rom führen sollte.

Zu diesem Zweck begab sich der Metropolit incognito auf gefährliche Reisen ins Russische Reich. 1908 hätte eine solche Unternehmung nach Weissrussland beinahe mit einer Verhaftung geendet.: "Mit einem langen Bart und dem Pass unter dem Namen eines gewissen Doktor Olesnyzkyj fährt er nach Vilno, Minsk, Sluzk, dann nach Moskau und Petersburg. Unterwegs wird er überfallen, seine Papiere entwendet. Die Zeitung "Nowoje Wremja" schreibt daraufhin, ein zweites Mal wäre der Metropolit nicht mehr verschont geblieben, sondern gefangengenommen und verhaftet worden" (A. Luzkewisch "Metropolit Scheptyzkyj und die Weissrussische Bewegung").

Ein für die Begriffe der Ostukrainer unvorstellbares Risiko war die von Scheptyzkyj in Kiew 1912 gefeierte Gedenkmesse zu Ehren des Dichters Taras Schewtschenko - und dies zu Zeiten der antiukrainischen Reaktion. Die neugotische Nikolaus-Kirche, in der der Metropolit alleine die Totenmesse zelebriert hat, wurde von berittener Polizei umringt- es schien, es werde gleich zu einer blutigen Auseinandersetzung kommen. Wahrscheinlich waren es aber spirituelle und majestätische Gestalt Scheptyzkyjs und seine im wahrsten Sinne des Wortes christliche Predigt, die solch ein übles Ende des Gottesdienstes nicht zulassen wollten. Ein allmählicher Übergang zur Selbstbezeichnung und Selbstidentifizierung Scheptyzkyjs als Ukrainer lässt sich erst 1912-1923, insbesondere unter dem Einfluss der Befreiungsbewegung von 1917 bis 1919 und erst recht während der polnischen Herrschaft, beobachten.

Die Vorliebe des Metropoliten für die Begriffe "Rus", "Ruthene" könnte man mit seiner Zuwendung zum Glauben seiner Vorfahren erklären, zu den cyrillischen Buchstaben, den alten Ikonen und Kirchenrieten. "Noch bevor ich Lesen und Schreiben konnte und mir meiner Gefühle noch nicht bewusst war, empfand ich mit ganzem Herzen die Schönheit unserer alten Ikonen. Ich war ein kleiner Knabe, als ich, vor der Ikonostase stehend, in unserer alten Holzkirche in Prybytschi etwas Unerklärliches empfand, etwas, was ich heute als "ästhetische Empfindung" bezeichnen würde. Ich muss damals sehr klein gewesen sein, weil unser alte Pfarrer, der später viel kleiner war als ich, mir damals in seinem Kirchengewand vor dem Altar wie ein Riese vorkam. Die majestätischen Altargestalten, die auf mich gerichteten Blicke Christi und der Gottesmutter, jene nahezu mystische Dunkelheit, in der nur Kerzen und deren Spiegelungen in den Ikonen leuchteten, der Weihrauch, der samt dem Kirchengesang zum Himmel emporstieg, all das schloss sich zu einem sehr tiefen Eindruck zusammen, kaum vergleichbar mit alldem, was ich jemals sonst in meinem Leben erlebt habe. Der Eindruck war umso faszinierejnder, als meine Seele hinter diesen äusseren Erscheinungen eine heimliche Tiefe empfand, die sich wie ein Strahl über meine Seele aus dem Himmel ergoss." (A.S. "Meine Erinnerungen an die Gegenstände der Museensammlungen").

"Die unerklärliche Empfindung" -- das war die Entdeckung des vergessenen und durch das Lateinische verstellten christlichen Ostens. Metropolit Andrej überschritt gleichsam ganze Jahrhunderte vergoldeten und verkalkten Byzantinismus - und entschied sich für den kirchenväterlich einfachen Ethos eines "orientalischen" Paters. Die Schlichtheit seiner Gewänder überrascht. Das Zeitalter der "besteckten Gewänder" , das bis heute andauert, ist angebrochen. Eine derartige Vorliebe hegt Scheptyzkyj auch gegenüber der Holzkirchenarchitektur. Das kann man auch erkennen an seiner Sorge um die Erhaltung von Holzkirchen. (Der von ihm ins Leben gerufene Studitenorden, die "östlichsten griechisch-katholischen Mönche", erhielt für seine Gottesdienste solch eine Holzkirche aus dem Bojkenland).

Scheptyzkyjs Leben wird von Historikern in folgende Perioden unterteilt: unter Österreich; russische Gefangenschaft; Wanderjahre (von Stockholm bis Brasilien); unter Polen; "erste Sowjets"; "Deutsche"; "zweite Sowjets". Man kann aber nach existentiellen Färbungen sehr klar zwei radikal unterschiedliche Lebensabschnitte erkennen ( der christologischen Analogie nach): die Periode des versteckten Wachstums (1865-1901) und die des pastoralen Dienstes (1901-1944).

Seine kurze Dienstzeit als Bischof von Stanislau (1899-1900) hat Andrej Scheptyzkyj mit Besuchen von bukowinischen und huzulischen Pfarren begonnen. Vor ihm hat noch kein Kleriker Hirtenbriefe an die Huzulen in deren Dialekt geschrieben ("An meine lieben Huzulen"). Eine weitere für die Machthabenden unbegreifliche Sache waren etwa Besuche in Gefängnissen und die Errichtung einer Schule für Sträflinge.

"... A. Scheptyzkyj hat vom Augenblick seiner Einweihung an begonnen, uns einen anderen Ton, andere Formen beizubringen... Statt im verfaulten pseudo-Kirchenslawischen, wie seine Vorgänger zu predigen pflegten, ... schreibt er in der reinsten galizisch-ruthenischen Volkssprache,-- eine davor unerhörte Sache bei unseren kirchlichen Hochwürdigen"...

Er redet nicht so wie seine Vorgänger: hochmütig, würdevoll, in einem künstlich-majestätischen Ton, er geht nicht auf Stelzen, er "predigt" nicht, sondern spricht einfach, wie Gleiche zu Gleichen, von Mensch zu Mensch, er berät, macht Vorschläge, er scheut nicht davor zurück, notfalls auch ein energisches Wort zu gebrauchen, wo es angemessen ist" (I. Franko, 1904).

Als Scheptyzkyj Metropolit wurde, wirkten im damaligen ukrainischen Leben Galiziens folgende gesellschaftliche Kräfte: (nach den Erinnerungen von W. Doroschenko):

1. Die Griechisch-Katholische Kirche (die grösste unter den uniierten Kirchen); zunächst eine Kuriosität in den Augen der österreichischen Regierung, assoziierte die ukrainische Bevölkerung schlichtweg mit der St.-Georgs-Kathedrale. (Parallele zur Sophienkathedrale in den Vorstellungen der Dnipro-Ukrainer. Es war sowohl Galiziern als auch Dnipro-Ukrainern letzendlich einerlei, wer im symbolträchtigen Dom "regiert") ; Die St.-Georg-Kathedrale, das Werk der früheren Metropoliten Scheptyzkyjs, wurde Mitte des 18. Jahrhunderts als das schönste Rococo-Bauwerk Osteuropas errichtet.

Die 60-er und 90-er Jahre des 19. Jahrhunderts: die ukrainische Oberschicht Galiziens wächst allmählich über die Priester-Wiege heran . Das Priestertum spielt dennoch nach wie vor eine imense Rolle, indem es als Ersatz der staatlichen Strukturen auftrat (die Rolle, die dem Klerus bei staatslosen Völkern zukommt).

Trotz allen schwerwiegenden progressiven Tendenzen verfällt die Griechisch-Katholische Kirche vor Beginn des 20. Jahrhunderts in eine gewisse Starrheit, (das von I. Franko erwähnte "Verfaultsein") . Der Metropolit Silvester Sembratowytsch verwickelt die Kirche in politische Affären. Eine mächtige Kraft in der Kirche stellen die Moskwophilen dar.

Aus den Erinnerungen der Mutter von Scheptyzkyj: "Seit eh und je hörte ich, wie man über das ruthenische Priestertum mit Hochmut sprach, was es wohl mit seinen Mängeln und endloser Obscurität sowie seiner Gier und seinen Sitten verdiente. Den Ritus kannte ich schon gar nicht, ich sah nur seine Reprasentanten in den untersten, abschtösslichsten gesellschaftlichen Schichten, die mich enttäuschten, abstossen und mit ihren endlosen Gemeinheit anekelten, und diejenigen in diesem Mileau, die nicht obskur und wild waren, traten seit Jahrzehnten als Feinde der lateinischer Kirche und polnischer Nationalitat auf.. Und all das zischte um mich wie Schlangen herum, hob seinen Kopf auf und wollte mir mein Kind wegnehmen und in den Abgrund seines Schmutzes stürzen".

2. Die zweite Kraft war die österreichische Staatsmacht, die die Befölkerung vor allem mit dem Kaiser (dessen Gestalt etwas Heilig-Lithurgisches verbarg: seine Apostolische Majestät) assoziierte. Heutzutage fällt es uns schwer, uns die kolossale Verehrung des "Vater-Kaisers" durch die Galizier vorstellen (hier ist auch die Parallele zur Verehrung des Zaren durch die Ostukrainer sichtbar) ; loyal gegenüber Franz Josef waren sowohl "harte" Altruthenen als auch "weiche" Narodowzi.

Dieser Respekt fing erst dann abzubröckeln an, als der Kaiser den Hoffnungen der Galizier auf die Unterstützung in ihren Auseinandersetzungen mit den Polen nicht gerecht wurde (seine kurze Antwort einer ukrainischen Delegation 1891: "Adieu, meine Herren !").

3. Die dritte Kraft stellten die polnischen Kreise dar. Scheptyzkyj war der erste "regierende", einflussreiche und daher ernstzunehmende Ukrainer. Die Hoffnungen der Polen darauf, er wäre wirklich ein Wallenrod, haben sich als vergäblich herausgestellt. Verhasst war er von den Polen, nach den Erinnerungen von Wolodymyr Doroschenko, nicht weniger als Hruschewskyj (der Gründer und Anführer der "Hajdamaken-Bewegung" in Galizien). Genz besonders tobten die sogenannten "Allpolen", die ihn "gerne lynchen würden".

Scheptyzkyj und Hruschewskyj waren allerdings nicht die einzigen, die zum Ukrainischen zurückkehrten: zur gleichen Zeit wirkten auch Tadej Rylskyj, Wolodymyr Antonowytsch, Wjaceslaw Lypynskyj; ein ähnliches Beispiel in Kroatien war Erzbischof Strossmeier (gest. 1905).

4. Die ukrainischen Bürger waren vor allem in zwei feindliche Lager zersplitten: die Moskwophilen, die übrigens einen sehr grossen Einfluss auf die St.-Georgs- Kathedrale hatten, (moskwophilisch gesinnte Generalvikare p. A. Bilezkyj und p.O. Batschynskyj wurden darüberhinaus durch ein sehr langes Leben gekennzeichnet); und die Narodowzy, Radikale und Sozialisten - in der Tat gab es unter ihnen nur ganz wenige Atheisten (wie W. Doroschenko behauptet), ihr Antiklerikalismus war eher Antimoskwophilismus. Die radikal orientierten Bauern hielten sich an ihrer Kirche fest, wenn auch gelegentlich ihren moskwophilen Pfarrer auslachten.

Das zunehmende Ansehen des Metropoliten in der ukrainischen Gesellschaft:

1. Nur langsam gelang es dem Metropoliten, den Unwillen und die Voreingenommenheit der ukrainischen Bürger gegenüber der St.-Georgs-Kathedrale abzubauen. Dies muss deshalb besonders betont werden, weil viele gegenwärtige Biographen (um nicht "Hagiographen" zu sagen) des Metropoliten diese Zeit ausschliesslich in rosa-roten Farben schildern. Hier sei beispielsweise auf Stepan Baran hingewiesen: "Zwischen ihnen [d.h. den ukrainischen Bürgern und dem Metropoliten A.S] herrschten gegenseitiges Verständnis, Harmonie und Zusammenarbeit". Wenn dies geschah, dann war das nur den persöhnlichen Charakterzügen des Scheptyzkyj zu verdanken. Sowohl der Metropolit selbst, als auch die gesamte Gesellschaft mussten eine gewisse Evolution durchmachen. Zunächst und sehr lange herrsten in der ukrainischen Gemeinde Verdächtigkeit, Misstrauen und die Neigung zum Abwarten. Diese negative Einstellung zu den Entscheidungen des Metropoliten wird etwa aus der Reaknion der Galizier auf die Verleihung der Bezeichnung "das nationale" dem von Scheptyzkyj gegründeten Museum der kirchlichen Kunst. ("national" kann ja nur ein von der Wissenschaftlichen T.-Schewtschenko-Gesellschaft gestiftete Museum sein, -- behauptete M. Hruschewskyj).

2. Einige unerwartete Aktionen des Metropoliten, wo er entschlossen seine Solidarität mit der ukrainischen Gesellschaft zeigte: 1901 sperrte er zur grossen Überraschung des österreichischen Bildungsministers das griechisch-katholische Seminarium zu als Zeichen der Unterstützung der Boykottierung der Lemberger Universität durch die ukrainischen Studenten. 1903 schloss er sich der Boykottierung des Galizischen Sojms durch die ukrainischen Abgeordneten an.

3. Ein Ereignis, das die negative Einstellung der ukrainischen Gemeinde Scheptyzkyj gegenüber verstärkte, war die Verurteilung des Myroslaw-Sitschynsky-Mordes an den Landesgouverneur Graf Potozky durch den Metropoliten. Seine Botschaft vor dem St.-Thoma-Sonntag 1908 mit der Verurteilung von Sitschynskyj hat die Empörung der "Patrioten" hervorgerufen. Am Lande singt man folgende Lieder: "Lange möge unser Sitschynskyj leben, verwesen möge der Potozky". Neugeborene werden massenhaft mit den Namen Myroslaw und Myroslawa getauft. Diese Botschaft war nicht nur von christlichen, sondern auch von politischen Motiven bedingt. (Wien hat danach verlangt als Voraussetzung für den Druck auf Polen, um bestimmte Zugeständnisse zugunsten den Ukrainern leichter zu erreichen, so erklärt das W. Doroschenko) Das heisst also, dass die EinPosition der ukrainischen Gesellschaft dem Metropoliten gegenüber lange nicht so eindeutig positiv war, wie es aufgrund der Lektüre seiner Biographen erscheinen mag.

Die gegenseitige Annäherung ging nur langsam vor sich. Der Metropolit konnte beispielsweise, selbst wenn er möchte, nicht so einfach die Moskwophilen von ihren Pfarren absetzen (genau dies haben von ihm die ukrainischen Kreise erwartet),-- das wäre weiters ein Verstoss gegen die österreichischen Gesetze gewesen.

4. Die meist gelungene Aktion von Scheptyzkyj war die Erreichung des Abkommens über die Wahlreform mit den Polen 1914, die zur Vergrösserung der politischen Repräsentanz der Ukrainer im Sojm beitragen sollte. Der Krieg war es, der seine Umsetzung verhinderte.

Seine allgemeine Position in politischen Angelegenheiten : der Metropolit ruft den Klerus auf, sich nicht in die Politik einzumischen, er war auch selbst ein Beispiel dafur: als Metropolit von Halytsch war er ex officio Abgeordneter des Wiener Parlaments und des Sojms, ist aber vor 1914 nur zweimal hier erschienen und äusserte sich nicht eimal zu den politischen sondern Bildungsfragen. Der Klerus kann nur eine geistige Autorität haben,-- proklamiert er und distanziiert sich entschieden von der politischen Aktivitäten in der Art von Silvester Sembratowytsch). Dadurch würde der Klerus seine Unabhangigkeit erreichen (die Geistlichen dürfen sich nicht vor Verurteilung unchristlicher Taten , wie etwa dem Mord an Grafen Potozky durch Sitschynskyj zurückscheuen). Er war fest davon überzeugt, dass davon sowohl die ukrainische nationale Bewegung als auch die Griechisch-Katholische Kirche profitieren werden. Diese Position hat sich später als äusserst fruchtbar und weise erwiesen.

5. Seine persönlichen Eigenschaften waren es, die die Anderen so faszinierten; er war sehr zugänglich und taktvoll im Umgang mit den Menschen: von Arroganz oder Überheblichkeit keine Spur, seine Tür war immer (!) für alle offen. Wenn er in Lwiw war, war es überhaupt nicht schwierig, von ihm empfangen zu werden. Der Metropolit meidete niemanden. Allmählich begann er allen zu imponieren. Eher als den Intelektuellen hatte er dem Volk nähergetreten.

Endgültig hat sich seine Autorität während des Ersten Weltkrieges etabliert.

Seine Verhaftung durch die russische Besatzungsadministration am 19. September 1914, am Samstag, um 10 Uhr in der Frühe, war für ihn keineswegs eine Überraschung. Graf Scheremetjew räumte ihm nach der alten russischen Tradition nur 2 Stunden fürs Einpacken ein. Und als Vorwand der Verhaftung galt keineswegs seine "kriegsschürende Predigt" in der Walachischen Kirche in Lwiw, wo Scheptyzkyj gerade von der Gemeinsamkeit der orientalen christlichen Traditionen bei Galiziern und den Okkupanten sprach, der Gemeinsamkeit, aufgrund deren es zum gewissen Verständnis kommen könnte.

"Zur Zeit der Besatzung geriet Galizien in die Hände von polizeilichen und beamtlichen Unholden, die hierher geschickt wurden, den Kriegszustand ausnutzten und machten, was sie wollten" (M. Hruschewskyj).

Aus der Verbannung wurde der Metropolit nur dank der Bemüuhunden des -wohlbemerkt- Bischofs von Krasnojarsk Nikon freigelassen, welcher sich darum an Kerenskyj wandte.

Auf alle Fragen, wie es ihm in den schweren Umständen der Verbannung gegangen sei, antwortete Scheptyzkyj scherzhaft, er hätte sonst nie so viel Zeit gehabt wie dort, um wichtige Bücher zu lesen.

Seine christliche Würde: auf seinen Verhaftung und Verbannung haben am meisten zwei ortodoxe Bischöfe - Antonij und Jewlogij (von Cholm) besteht,- zwei, wir würden heute sagen "Ukrainophagen". Als sie aber 1919 von der Regierung der UVR für ihre feindliche Tätigkeiten nach Galizien verbannt wurden, war der Metropolit Scheptyzkyj es, von dem sie Hilfe erfuhren.

Eine der selten erwähnten, jedoch für das Verständnis seiner christianitas wichtigen sozialen Aktionen des Metropoliten war das Erreichen der Priesterwitwenbeihilfe bei der österreichischen Regierung.

Scheptyzkyj stand über die galizischen Vorurteile und Auseinandersetzungen: einmal kam ins Metropolitenpalais die Tochter von Iwan Franko Anna mit der Bitte, eine Gedenkmesse für den verstorbenen Vater zu zelebrieren. Sie wurde vom P. Mychajlo Zegelskyj empfangen, der erklärte, ihr Vater starb als Gottloser uns die Kirche kann für ihn nicht beten, woraufhin hinter der Tür die starke Stimme des Metropoliten kam: "Sie irren sich, Pater Zegelskyj!".

Der Rabbiner Jesekyl Lewin wandte sich um die Hilfe an den Metropoliten während eines Pogroms in Lwiw , als dieser unter dem polnischen Hausarrest im Metropolitenpalais gegenüber der Kathedrale (er durfte nicht einmal in die Kathedrale hinein) war (November 1918 ). Scheptyzkyj sagte ihm, er kann ihm nicht helfen, gab ihm jedoch heimlich 500 Kronen.

"Jedesmal, wenn ich in diesen galizischen Kleinstädtchen weilte,-- du, Mutter, kennst sie sicherlich nun allzugut,- schien es mir, dass die ärmsten dort die Juden waren... Und diese Stetl, wo die meisten Einwohner arm waren, sind die frommsten gewesen." (Aus einer literarischen Mystifizierung von H. Lushnyzkyj von den "Metropolits Briefen an die Mutter").

Unter Polen, wie schon früher, Mitte des 19. Jahrhunderts, hat sich die Lage der Ukrainer wieder rapide verschlechtert, und die Kirche fängt schon wieder an, die führende Rolle zu spielen: während zu den österreichischen Zeiten der Metropolit für die Ukrainer lediglich EINE der mehreren Autoritäten war (weil neben ihm noch weitere Leitfiguren stande - etwa die Vorsitzenden des Volkskommitees, der Parlamentarischen Vertretung oder der Wissenschaftlichen T.-Schewtschenko-Gesellschaft), so blieb unter Polen der Metropolit ganz alleine als pater patris da stehen.

Es gab keinen Kaiser mehr, das Wiener Parlament war ebenfalls nicht mehr da, diese gewissermassen Schiedsrichter in den ukrainisch-polnischen Konflikten waren nun weg. Das Sojm in Warschau war anders als das Wiener Parlament.

Die Autorität Scheptyzkyjs unter den Ukrainern zu den polnischen Zeiten war von daher unbestreitbar und stand ausser Frage. Die Wissenschaftliche T. Schewtschenko- Gesellscheft wählt ihn 1926 als ihr ordentliches Mitglied. nflikte mit den polnischen Behörden: in der Nacht vom 22. auf 23. August 1923 wurde Scheptyzkyj - krank-an der polnisch-tschechischen Grenze mit der Aufforderung verhaftet, er möge seinen Untertanenstatus gegenüber der polnischen Regierung öffentlich deklarieren. Daraufhin führte er ein 10-minütiges Gespräch mit dem Präsidenten Wojziechowsky, und die Sache hat sich einigermassen erledigt.

Weit und breit bekannt sind die Proteste des griechisch-katholischen Oberhirten gegen die Zerstörung orthodoxer Kirchen im Gebiet um Cholm (1936-38; 91 Kirchen wurden abgebrannt; diese Protestbotschaft Scheptyzkyjs wurde von der polnischen Zensur beschlagnaumt; man verbreitete sie dann illegal) sowie gegen die zwanghafte Bekehrung der ukrainischen Bevölkerung dörferweise in den katholischen Glauben (sui generis religiöse Säuberung analog zu den heutigen ethnischen Säuberungen).

Konflikte mit der polnischen Besatzungsregierung entfachten sich auch um einfachere Dinke. Laut der polnischen Gesetzgebung musste die gesamte Dokumentation polnisch geführt werden. Man war dem Metropoliten dauernd vor, die Galizische Metropolie führe die Gemeindebücher auf ukrainisch, so als diese Vorwürfe nicht mehr zu ertragen waren, beschloss Scheptyzkyj6 diese auf Latein zu führen.

Seine Tätigkeit als Mezän, Organisator und Stifter ist beispielslos. Eine einzige der von ihm angeleiteten Aktivitäten würde genügen, damit sein Name für immer in der Geschichte der Ukraine bleibt und es sind Hunderte davon bekannt.

Er gründete das Ukrainische Nationalmuseum. Das Gebäude dafür kaufte er 1905 für 34.000 Dollar mit Hilfe der Juden, weil der Besitzer,- Ein Pole,- das Haus nicht an die Ukrainer verkaufen wollte.

Kirchliche und wohltätige Stiftungen: zu allererst die Diozösane Bibliothek in Stanislaw (4 Tausend Bücher aus der Privatbibliothek), das Akademiehaus, das Volksspital, Gymnasien. Indem er an die tschechische Regierung apellierte, rettete er die Ukrainische Wirtschaftsakademie in Podebrady. Er war auch Mitstifter mehrerer ukrainischer Banken.

Die Lwiwer Theologische Akademie hat ihre Gründung (1928; die einzige ukrainische Hochschule unter Polen) auch Scheptyzkyj zu verdanken. Für Waisenheimer hat er insgesamt 1 Mio Dollar gespendet, auch armen jüdischen Kindern machte er Geschenke zu Pesach.

über die Kommission für Naturschutz der Wissenschaftlichen T.Schewtschenko-Gesellschaft hat der Metropolit verordnet, auf dem Territorium der Metropolie Lwiw ein Zederschutzgebiet auf dem Berg Jajze bei Pidlute sowie einen Schutzpark für die Steppenflora am Cortowa Hora bei Rohatyn aufzubauen, es waren die ersten Naturschutzgebiete in der westlichen Ukraine. Er hat zur Gründung von Kurorten (z.B. Cerce) beigetragen.

Diese gewaltig grosse Tätigkeit Scheptyzkyjs hatte nur wenige Analogien in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, sie war allerdings im bestimmten Sinne Fortsetzung seiner Familientradition.

1284 erteilte der Fürst Lew den Scheptyzkyjs eine Bojarenurkunde, die 1469 bestätigt wurde ( seit 1772 werden alle galizischen Bojaren zu "Grafen", allmählich assimiliert, d.h. polonisiert). Bedeutete es jedoch im Fall von Scheptyzkyjs auch Polonisierung, und wenn ja, dann was für eine? Ist es so eindeutig? Ein überraschendes Beispiel, das diese Eindeutigkeit widerlegt: im Winter 1862 (der Metropolit selbsdt wurde am 29. Juli 1865 geboren):

"eines winterlichen Abends kamen nach einem Schlittenausflug nach Hause und unterhielten uns über unseren Erstling, der gerade unterwegs war. Da sagte mein Mann : sollte ich mehrere Söhne haben, so möchte ich, dass einer von ihnen uniierter Priester wird". (aus den Erinnerungen von Sofia Fredro-Scheptyzka, der Mutter des Metropoliten).

Zwei von ihren Söhnen, Stanislaw und Olexander,. verstanden sich als römisch-katholisch; Lew, Kazymyr (der spätere Abt Klyment) und Roman (der Metropolit Andrej) - als griechisch-katholisch.

Vorliebe zur Jagd. Zu Hause sprach man franzosisch. Mit Stanislaw hat nur franzosisch gesprochen. Olexandr - Gutsbesitzer, ermordet von Gestapo in Zamosc 1940. Lew getotet in Prylbytschi 27. September 1939 mit 13 Familienangehorigen, aus der gruft die Gebeine der Eltern weggeworfen.

Wahrend des Aufenthaltes in Monte-Cassino (Rekollekte) "Beim Gebet beherrschte mich auf einmal eine solch tiefe Erkennung-Vision der macht und Majestat lateinischer Kirche, dass ich glaubte, ich werde nie mich von ihr trennen und ohne sie kann ich dem Herr nicht dienen".

Reise nach Rom und ethiopische Grammatik; Reisen nach Kiyjiv und Russland, Solowjow.

Dominanten: Union. Das Phantastische. Wolynien, Polissa, Cholmland, Russland und Sibirien - Klyment. Ostukraine - Slipyj, Weissrussland - Antonij Nemanzewyz.

Für die Sache der union konnte sich mit allen machtbehorden abfinden. Eine der Ursachen von Begrussung der Wehrmacht. Dann Verurteilung in vielen Briefen und Botschaften - Dez. 1941, Februar 1942 an Himmler, Marz 1942 . Das fuhrte zu den zahlreichen Durchsuchungen und Kontrollen in der Kathedrale. Hat verordnet, 300 judische Kinder und wertvolle Dokumente zu verstecken. Wusste, dass die Sowjets die Kirche vernichten werden. Bestand darauf, dass Klerus das Gewerbe lernt. 5. November (gest. am 1.) Begrabnis in Lwiw, Chruschtschow kam mit dem Kranz von Stalin. Ein bolschew. Redner sagte, nach Schewtschenko war Scheptyzkyj der grosste Ukrainer. Wundersame Kraft des Metropoliten. Warum hat man ihn nicht getotet ? Die Deutschen nicht gewagt, die NKWDisten haben zu ihm nachts ihre Kinder zur Taufe gebracht.

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N12 / 1998

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1997